In sowjetischen Lehrbüchern wurde der für die Weltgeschichtsschreibung traditionelle Begriff „Erster Weltkrieg“oft durch „imperialistischer Krieg“ersetzt. Was genau war mit einer solchen Definition gemeint? Dies kann verstanden werden, wenn man die Besonderheiten der Interpretation der Geschichte aus der Sicht des Marxismus versteht.
Um das Wesen des Phänomens imperialistischer Kriege zu verstehen, müssen Sie die Bedeutung des Wortes "Imperialismus" verstehen. Marxistische Philosophie und Geschichtsschreibung unterscheiden fünf Hauptstadien in der Entwicklung der Gesellschaft, auch sozioökonomische Formationen genannt: primitiver Gemeinschaftsstand, Sklavenstand, Feudalismus, Kapitalismus und Kommunismus. Jeder von ihnen hatte das Hauptunterscheidungsmerkmal - eine spezielle Herstellungsmethode. In dieser Theorie ist der Imperialismus die letzte Stufe des Kapitalismus vor der sozialistischen Revolution. Die Besonderheiten des Imperialismus sind die Schaffung großer Monopolunternehmen, die fortschreitende Verschlechterung der Stellung der Arbeiter und auf staatlicher Ebene territoriale Expansion und Kolonialismus.
Ein imperialistischer Krieg selbst ist ein Konflikt, an dem ein oder mehrere imperialistische Länder beteiligt sind. Sein Hauptziel ist die Beschlagnahme von Territorien und Ressourcen für die Gründung neuer Kolonien und eine umfassende wirtschaftliche Entwicklung. Die marxistische Geschichtsschreibung verweist auf solche Kriege, zum Beispiel auf die Opiumkriege des 19. Jahrhunderts, in denen das britische Empire die Kontrolle über China erlangen wollte; der Burenkrieg, der eine Reaktion auf die Unabhängigkeitsbewegung der europäischen Siedler in den südafrikanischen Kolonien war; sowie der Erste Weltkrieg, in dem mehrere Großmächte dieser Zeit aufeinanderprallten und dessen Zweck wiederum die Umverteilung abhängiger Gebiete in der Welt war.
Moderne Historiker stellen die eindeutigen marxistischen militärischen Konflikte an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert meist als imperialistisch in Frage. Diese Kriege hatten neben wirtschaftlichen auch komplexe soziale und politische Gründe, die nicht in die Theorie des Wandels der Wirtschaftsformationen passen. Dennoch wurde das Verständnis der bewaffneten Konflikte dieser Zeit als besonderes Phänomen erst von Marx vorgenommen, was den Historikern des 20. Jahrhunderts bei einer komplexen Wahrnehmung der internationalen Lage im Zeitalter des Imperialismus half.